Hausarztpraxen in Dietzenbach
Drei Sitze für Allgemeinmedizin unbesetzt. Aber es gibt Hoffnung.
Die medizinische Versorgung durch Hausarztpraxen ist ein wesentlicher Bestandteil im Gesundheitssektor in Deutschland. Über viele Jahrzehnte wurde ein flächendeckendes Netz an Allgemeinmedizinern etabliert. Hausärzte kennen ihre Patientinnen und Patienten, sind meist durch ein hohes, gegenseitiges Vertrauen langjährig miteinander verbunden und sind häufig die erste Adresse bei Gesundheitsbeschwerden und -fragen. Doch das Netz weist Lücken auf.
Zwei Praxen in der Kreisstadt sind bereits länger geschlossen und unbesetzt. Durch den plötzlichen Tot einer Ärztin, welche ebenfalls in Dietzenbach eine Hausarztpraxis führte, mussten im Sommer ca. 800 Patienten kurzfristig einen neuen Hausarzt finden. Doch die ansässigen Arztpraxen können diesen Ansturm an Patient*innen kaum bewältigen, die Vertretungsregelung führt zu Überstunden und zu einer erheblichen Belastung der ansässigen Ärzte. Auf Dauer geht dieser Zustand zu Lasten der Qualität der medizinischen Versorgung auf der einen Seite und der Gesundheit des medizinischen Personals auf der anderen Seite.
Bürgermeister Jürgen Rogg hat sich Mitte Juli 2021 mit diesem Anliegen an die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) gewandt. In einem Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden forderte der Rathauschef, eine Wiederbesetzung der Praxis bzw. die Eröffnung von neuen allgemeinmedizinischen Praxen in der Kreisstadt Dietzenbach dringend zu prüfen. Seitdem gab es mehrere effektive Gespräche mit der KVH. „Die Lage ist ernst und die Möglichkeiten als Stadt sind leider sehr beschränkt“, analysiert Rogg die Situation. „Kreisweit sind allein 15 Sitze seit Jahren unbesetzt, im ländlichen Raum ist die Situation sogar noch dramatischer. Der Konkurrenzkampf der Regionen um Fachkräfte nimmt zu“, so Rogg.
Die Entwicklung sei seit Jahren in den Bürgermeister-Dienstversammlungen im Kreis Offenbach immer wieder auf der Agenda.
Hausarzt-Patienten-Verhältnis derzeit bei eins zu 1200
In einem letzten Gespräch mit der KVH gab es durchaus erfreuliche Nachrichten. Es gibt wohl eine potentielle Interessentin, welche eine der verfügbaren Praxen als Zweigpraxis übernehmen möchte.
Das hofft auch Dr. med. Reinhold Jerwan. Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Obmann der Dietzenbacher Ärzteschaft sieht die Entwicklung mit Sorge: „Insgesamt gibt es 16 Praxen in der Stadt, wenn da drei Sitze unbesetzt sind, verteilen sich etwa 3.000 Patientinnen und Patienten auf die übrig gebliebenen Praxen.“ Dr. Jerwan, der dienstälteste Allgemeinmediziner der Stadt, weiß jedoch genau, dass die Kapazitätsgrenzen bereits mehr als am Limit sind. „Normalerweise liegt das Hausarzt-Patienten-Verhältnis bei eins zu 800. Allein auf unsere Praxis kommen etwa 1.200 Patientinnen und Patienten pro Arzt. Das ist auf Dauer nicht zu stemmen, geschweige dem im großen Maße neue aufzunehmen, die durch den plötzlichen und tragischen Tod einer Kollegin von heute auf morgen ohne Hausärztin da stehen.“ Die Pandemie und die Impfungen fordern zusätzlich.
Es gibt überregionale, systemische Gründe, weshalb die Suche nach Hausärztinnen und Hausärzten schwieriger geworden ist. Dr. Jerwan erklärt: „Für viele Medizinerinnen und Mediziner gibt es organisatorische, administrative, ökonomische und zeitliche Aspekte, die einen Job als Facharzt im Vergleich zum Hausarzt attraktiver machen.“ Selbst für seine Praxis macht er sich Gedanken, ob er eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger finden kann, trotz sehr guter, qualitativ hochwertiger Ausstattung und einem stabilen Patientenstamm.“ Der Obmann resümiert mit dem Blick auf die derzeitige Auslastung der Praxen: „Eigentlich bräuchten wir etwa fünf weitere Allgemeinmediziner, um wieder in ruhigere Fahrwasser zu kommen. Jeder einzelne freie Sitz, der besetzt werden könnte, stabilisiert das System.“ Doch die Einflussmöglichkeiten vor Ort seien gering.
Gemeinsam mit dem Obmann der Dietzenbacher Ärzteschaft Jerwan versucht Bürgermeister Rogg im Dialog mit der zuständigen, öffentlichen Körperschaft - der KVH - Lösungsansätze zu erörtern. „Das Gesundheitssystem gehört originär nicht zu den Aufgaben einer Stadtverwaltung, jedoch ist es uns ein wichtiges Anliegen, dass das Netz an medizinischer Versorgung tragfähig bleibt, gerade vor dem Hintergrund einer älterwerdenden Gesellschaft“, sagt Rogg.